Die Anfänge
Die Anfänge des Hallenser Wingolf reichen bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts zurück. Am 20. Juni 1837 gründete sich ein christlich–studentischer Verein in der Gaststätte „Zum goldenen Pflug” am alten Markt in Halle.
Die meist Theologie studierenden Studenten trafen sich regelmäßig, um christlich zu debattieren und gesellig zu sein. Dieses sogenannte Erbauungskränzchen nahm nach kurzer Zeit dem Namen „Verbindung Pflug”, benannt nach der Gaststätte, an.
Am 22. Juni 1841 konstituierte sich der sogenannte alte Verein Pflug als couleurstudentische Verbindung neu, mit dem Ziel, die oft rauen Sitten an den Universitäten mit christlicher Sittlichkeit zu durchdringen.
Im Laufe der ersten Semester kam es jedoch zum Streit über die Ausprägung und Gestaltung der Verbindung, so dass es im Jahr 1843/44 zur Aufspaltung in zwei Vereine kam. Den Alten Verein, meist christlich liberal, mit teilweise urburschenschaftlichem Gedankengut, dieser nennt sich selber Pflug, und den Neuen Verein, geprägt von christlich pietistischem Gedankengut. Der Neue Verein wurde zunächst auch Tadelkränzchen genannt, da er die eher burschenschaftlichen Tendenzen des Pflugs stark kritisierte.
Am 5. Juli 1844 kam es dann zur Stiftung des Hallenser Wingolf im Preißschen Kaffeegarten in Trotha bei Halle, einem beliebten Ausflugslokal. Noch trägt die Verbindung den Namen Neuer Verein.
Zur Stiftung, und damit endgültigen Trennung vom Pflug, war es durch Kontakte mit den christlichen Studentenverbindungen aus Berlin, Bonn und Erlangen im Rahmen eines Treffens in Schleiz, dem sogenannten 1. Schleizer Konzil, gekommen. In dessen Rahmen wurde der Wingolfsbund gegründet, so dass der Hallenser Wingolf zu den Gründungsmitgliedern dieses ersten korporationsdachverbands zu rechnen ist. Zurückgekehrt nach Halle trennten sich die bis dahin noch im Pflug aktiven Mitglieder vom Alten Verein und stifteten, durch den Geist des Wingolfsbundes inspiriert, den Neuen Verein.
Im 19. Jahrhundert
Am 9. Mai 1848 benannte sich der Neue Verein in Hallenser Wingolf um und nahm zu diesem Anlass auch die Farben schwarz–weiß–gold an, wie sie bis heute von jedem Mitglied der Verbindung getragen werden und zugleich auch Farben des Wingolfsbundes sind. Ebenso wurde der Wahlspruch beschlossen, welcher die christliche, überkonfessionelle Ausrichtung der Verbindung darstellt und zum Leitsatz des Handelns seiner Mitglieder wurde.
Der Hallenser Wingolf nahm in den Anfängen der Entwicklung des Wingolfsbundes eine entscheidende Rolle ein und prägte den Bund damit nachhaltig bis zum heutigen Tage. So stand der Hallenser Wingolf dem Wingolfsbund als Vorort oder auch Centralpostamt in den ersten zehn Jahren vor.
Diese Vorortschaft begann mit der Ausrichtung des 1. Wartburgfestes vom 24. bis 25. Mai 1850 in Eisenach und endete zunächst mit der erfolgreichen Ausrichtung des 5. Wartburgfestes.
Im Rahmen des 1. Wartburgfestes wurde die bis heute gültige und für den Bund prägende Ablehnung von zunächst Duell, später auch Mensur verabschiedet. Damit setze sich der Wingolf deutlich von allen anderen Verbindungen der Zeit ab.
Ebenfalls in die Zeit der Hallenser Vorortschaft fällt die Gründung des Gesamtwingolfs, der durch seine Filialverbindungen an den einzelnen Hochschulen vertreten ist. Zwar wird dieser Gesamtwingolf wieder aufgelöst, aber das bis heute enge und brüderliche Verhältnis der Verbindungen zueinander, mit dem gegenseitigen Eintrittsrecht in die jeweilige andere Verbindung wurde bis heute beibehalten.
In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs der Hallenser Wingolf deutlich an Mitgliedern und kam zu den regelmäßigen Veranstaltungen in wechselnden Lokalen, vor allen aber im Trothaer Kaffeegarten zusammen. Schnell wurde der Wunsch nach einer Konstante, einem Haus, laut und es wurde damit begonnen, einen Hausbauverein zu gründen und ein geeignetes Grundstück zu erwerben.
Mit der Erschließung des Paulusviertels in Halle war es dann soweit. In der Hohenzollernstraße wurde ein Grundstück erworben und mit dem Bau eines Hauses begonnen. Am 25. Juli 1893 konnte das damals noch frei stehende Haus eingeweiht und bezogen werden. Das 50. Stiftungsfest konnte am 31. Juli 1894 somit im neuen Haus begangen werden. Heute steht das Wingolfshaus unter Denkmalschutz und bildet den zentralen Anlaufpunkt für die Mitglieder des Hallenser Wingolf.
Bis zur Zwangsvertagung 1935
Mit der Einführung der sogenannten Stofffreiheit 1901, also dem Recht, nebst Bier im Rahmen von Veranstaltungen auch andere Getränke zu sich nehmen zu dürfen, ging der Hallenser Wingolf wieder neue Wege. Er stellte sich damit erneut gegen die Mehrheit der Studenten und setzte sich von den anderen Verbindungen ab. In dieser Zeit war der Hallenser Wingolf stark pietistisch geprägt und diskutierte im Wingolfsbund auch in diesem Geiste über die Prinzipien. 1911 wurde die Stofffreiheit vom Wingolfsbund übernommen und durch das Gebot der Mäßigkeit ergänzt, welches bis heute große Bedeutung hat.
Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges kommt es zu einer Zäsur in der Geschichte des Hallenser Wingolf. Große Verluste in den Reihen der Mitglieder, sowohl bei Aktiven wie auch bei Philistern, erschüttern das Zusammenleben. Der Verbindungsbetrieb wird mit Notsemestern aufrecht erhalten, da viele junge Männer nicht mehr studieren können, sondern in den Schützengräben um ihr Leben kämpfen.
Der Hallenser Wingolf beteiligte sich in dieser Zeit am Wingolfshilfswerk, um den Hinterbliebenen von gefallenen Wingolfiten und Bundesbrüdern in wirtschaftlichen Schwierigkeiten zur Seite zu stehen.
In der Weimarer Republik gelangte der Wingolf zu neuer Blüte. Neben dem, in dieser Zeit stark ausgeprägtem, christlich, sittlichem Zusammenleben, wurde das Bundesleben durch Sportveranstaltungen, Wandertouren und die ab 1920 obligatorischen Ostsemester an den Universitäten in Königsberg und Danzig geprägt.
Die pietistischen Richtungskämpfe gehörten der Vergangenheit an, dafür beschäftigte man sich in Halle, wie auch im gesamten Wingolfsbund, mit den aktuellen Fragen der Hochschulpolitik, der Stellung zur Weimarer Republik und dem Verhältnis des Wingolf zu anderen Studentenkorporationen. So stiftete sich 1925 der Wingolfsbund die sogenannte Bundesnadel, einen kleinen, goldenen Kreis, der als Zeichen des Bundes, am linken Revers getragen wird.
Gegen Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts machte sich auch im Wingolf die zunehmende nationale Strömung bemerkbar und es kam zu heftigen Lagerkämpfen, die durch einen Kompromiss gelöst wurden: das Verbot von politischen Abzeichen im Rahmen von Bundesveranstaltungen. Der Wingolf unterstrich somit seinen unpolitischen Charakter und entschärfte die Lagerkämpfe.
Mit den 30er Jahren brach auch für den Wingolf ein dunkles Kapitel an, in dem sich auch der Hallenser Wingolf nicht immer vorbildlich verhalten hat. So führte der Wingolfsbund auf starken Druck des NSDSt–Bundes, im Angesicht der drohenden Zwangsvertagung, das Führerprinzip und den sogenannten Arierparagraphen ein. Durch den Arierparagraphen kommt es zum Ausschluß einzelner Bundesbrüder, die „jüdisch versippt” waren. Dieser Ausschluss führte zu heftigen Diskussionen und auch weiteren Solidaritätsaustritten. 1934 wurde der Hallenser Wingolf in einen studentischen Kameradschaftsbund zwangsgewandelt. Das Wingolfshaus wurde als Wohnkamaradschaft geführt, zum Leben auf dem Haus gehörte Wehrertüchtigung.
Als 1935 die unbedingte Satisfaktion und die Duellpflicht für Mitglieder von Studentenverbindungen per Dekret durch den NSDStB verkündet wurde, war es für den Wingolf endgültig unmöglich, diesen Beschluss umzusetzen. Der Hallenser Wingolf wurde, wie der gesamte Wingolfsbund, vor die Wahl gestellt, entweder das Duell einzuführen, oder verboten zu werden. Die Wingolfsverbindungen entschieden sich für das Verbot.
So kam es am 3. November 1935 zur Vertagung des Hallenser Wingolf. Der Aktivenbetrieb wurde offziell eingestellt. Bis zum Sommersemester 1937 trafen sich die Wingolfiten aber weiter in eher inoffiziellem Rahmen. So wurde das letzte Stiftungsfest vor dem Krieg im Sommersemester ’37 lediglich mit dem gemeinsamen Besuch einiger Bundesbrüder auf einer Tanzveranstaltung gefeiert. Das Haus wurde ebenso 1937 an die Paulusgemeinde veräußert, um es dem Zugriff des Regimes zu entziehen. Bis 1938 traf sich die Philisterschaft noch regelmäßig und in Couleur um der Verbindung zu gedenken, bis auch dies zu gefährlich wurde, und der Wingolf nur noch im Untergrund existieren konnte.
Hier findet der Hallenser Wingolf sein vorzeitiges Ende. Viele Brüder sind ohne Hoffnung darauf, dass es jemals wieder einen Wingolf geben wird und sehen der Zukunft ohne Zuversicht entgegen.
Nach 1945, Patenschaft mit Köln
Am 8. Mai 1945 endete ein schrecklicher Krieg, der Tod, Zerstörung und Leid über die ganze Welt gebracht hat. Schlußendlich ist der Krieg mit aller Grausamkeit dahin zurückgekehrt, wovon er ausgegangen ist: nach Deutschland. Nach seinem Ende stehen die Menschen in Europa vor großen Herausforderungen. Das deutsche Reich ist geteilt worden, die Städte liegen in Trümmern, zwei konkurrierende Herrschaftsmodelle wetteifern um die Macht und für viele gibt es kaum etwas zu essen. Aber trotz all dieser schlimmen Ereignisse keimte auch wieder Hoffnung.
Die Universitäten werden wieder geöffnet und es ist wieder an ein Studium zu denken. Auch für den Wingolf ergab dies Raum, sich neu zu entfalten. So gründeten sich schon 1947 die ersten Verbindungen neu. Sie benötigten die Zulassung der jeweiligen Besatzungsmacht, der Wingolfsbund war eine der ersten Korporationen, denen diese Genehmigungen erteilt wurden, da seine Prinzipien als nicht gefährlich für die neue Demokratie eingestuft wurden und man meinte, dass er zum Aufbau einer Zivilgesellschaft beitragen kann. Leider blieb diese Chance den Verbindungen in der Sowjetischen Besatzungszone, in der späteren DDR und in Frankreich verwehrt, da die jeweiligen politischen Systeme keine Gründung zuließen.
Es stellte sich also die Frage, wie man den Philistern der Ostverbindungen eine neue Heimat geben konnte? Es kam die Idee auf, Patenschaften zu übernehmen und die Traditionen der vertagten Verbindungen zu pflegen, damit, wenn die Möglichkeit bestünde, eine Neugründung erfolgen konnte.
Auf dieser Grundlage übernahm der Kölner Wingolf, gegründet am 19. Februar 1920, neugestiftet am 21. Juni 1951, im Jahre 1952 die Tradition des Hallenser Wingolf. Die drei Chargierten den Kölner Wingolf trugen als sichtbares Zeichen während ihrer jeweiligen Amtszeit das Band des Hallenser Wingolf. Bis zur Neustiftung in Halle hatte der Wingolf aus Halle so eine neue Heimat gefunden. Den Chargierten wurde nach einer erfolgreichen Chargenzeit, ermöglicht, das Hallenser Band ehrenhalber aufzunehmen, so dass auch sicher gestellt wurde, dass der Hallenser Wingolf nicht „ausstarb“.
Durch die deutsche Teilung ergab es sich aber nun, dass etliche Philister hinter dem Eisernen Vorhang leben. Diese konnten leider nur begrenzt in das Bundesleben mit einbezogen werden. In der Hallenser Philisterschaft gab es bis zur Maueröffnung 1989 einen bis zum heutigen Tag anonym gebliebenen Philister, der sich verstärkt um den Kontakt zu unseren ostdeutschen Bundesbrüdern gekümmert hat. Er hat mit Rat und Tat zur Seite gestanden, Pakete verschickt und den familiären Zusammenhalt gestärkt. So konnte auch ermöglicht werden, das 1969 zum 125. Stiftungsfest einige Philister aus der DDR anreisen konnten.
Nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung wurde am 7. Mai 1994 das 150. Stiftungsfest in Köln begangen und es wurde erneut die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass sich der Traum der Neugründung in Halle verwirklichen ließe. Ebenfalls in diesem Jahr fand der erste Wingolfsbesuch in Halle statt und es wurde sondiert, in wie weit man hier wieder Fuß fassen könne. Bis es soweit war, dauerte es allerdings noch acht Jahre.
Dem Kölner Wingolf und seiner Philisterschaft gebührt großer Dank dafür, dass sie bis zur Neustiftung und Wiedergründung am Traum des Hallenser Wingolf in Halle festgehalten haben. Es bedurfte großer Anstrengungen und Leistungen, aber am Ende sollte es gelingen.
Ein erster Schritt war die Rückgabe des Hauses an den Hallenser Wingolf im Jahre 2000. Anläßlich dieses erfreulichen Ereignisses wurde 2001 ein Hausrückgabekommers in Halle gefeiert.
Seit der Neugründung 2002
Ein Jahr später war es soweit: Zwei Göttinger Wingolfiten und zwei Hallenser Studenten gründeten zum Beginn des Sommersemesters 2002 den Hallenser Wingolf neu. Dieses Ereignis war durch das große Engagement von einzelnen Hallenser Philistern und der Unterstützung aus Köln möglich worden.
Am 5. Mai 2002 konnte die Neustiftung und Wiedergründung im Rahmen eines Kommerses feierlich begangen werden. Im Rahmen dieses Ereignisses wurde der jungen Wingolfsverbindung in Halle die Nachfolge als Hallenser Wingolf bestätigt, sie konnte den Namen annehmen und steht seit her in der Tradition der 1935 vertagten Verbindung.
Zunächst wurde eine Zwei–Raum–Wohnung in der Hegelstr. 9 in Halle bezogen, welche der Verbindung als konstanter Anlaufpunkt diente. Dieses Provisorium sollte Ende 2003 aufgelöst werden können, denn im Sommer 2003 wurde mit der Haussanierung begonnen.
Am 24. April 2004 konnte das Haus durch die Aktivitas offiziell übernommen werden und dient seither wieder seinem altem Zweck. Es ist Herz und Heim der Verbindung und ist seit diesem Datum wieder mit wingolfitischem Leben erfüllt. Im Rahem dieses denkwürdigen Ereignisses konnte ebenso das 160. Stiftungsfest begangen werden.
Anläßlich des Wartburgfestes 2005 wurde der Hallenser Wingolf wieder als Vollmitglied im Wingolfsbund willkommen geheißen und nimmt seither wieder aktiv am Bundesleben teil. So richtete er 2006 den Vertreterkonvent des Wingolfsbundes aus und konnte Vertreter aller seiner Bruderverbindungen in Halle begrüßen.
Heute ist der Hallenser Wingolf wieder eine blühende Wingolfverbindung, die getragen von jungen und alten Mitgliedern, gemäß ihrem Wahlspruch – Durch einen Alles – versucht, einen christlichen Lebensraum im Rahmen des Studienalltages zu schaffen, ihren Mitgliedern Freundschaften und Freizeitgestaltungen anbietet, aber auch seine Mitglieder ermahnt, als Christ und Akademiker Verantwortung in unserer Gesellschaft zu übernehmen.
Mehr zur Geschichte des Wingolf in der Wikipedia.